- mykenische Kultur: Goldmaske und Schwert - Gräberluxus der frühen Mykener
- mykenische Kultur: Goldmaske und Schwert - Gräberluxus der frühen MykenerNach dem Ende einer städtisch geprägten, frühen Kulturblüte im 3. Jahrtausend v. Chr., die vermutlich mit dem Vordringen indogermanischer Völkerschaften, den Vorfahren der späteren Hellenen, zu verbinden ist, sank das zivilisatorische Niveau des griechischen Festlands zunächst auf eine provinzielle Ebene. Residenzartigen Zentren wie Lerna oder Tiryns sind im Mittelhelladikum zerstört. Stattdessen findet man aus dieser Zeit Streusiedlungen, die nur selten befestigt sind, eine qualitativ äußerst bescheidene Architektur und als Grabformen einfache Erdgruben, Steinkisten und Pithosgräber, die meist innerhalb der Siedlungen liegen. Nur selten kam es zur Anlage größerer Grabbauten in Form von Hügelgräbern, die durch einen Steinkranz eingefasst sind. Die Grabbeigaben dieser Zeit sind bescheiden. Auch das Kunsthandwerk zeigt keine Züge einer Hochkultur.Erst gegen 1600 v. Chr. mehren sich Anzeichen wachsenden Wohlstandes in Messenien und in der Argolis. Die gesellschaftlich-historischen Prozesse lassen sich nur schwer rekonstruieren. Allerdings schien es einzelnen tatkräftigen lokalen Herrschern und ihren Familien gelungen zu sein, nun größere zusammenhängende Territorien in diesen beiden Landschaften in ihre Gewalt zu bekommen und dauerhaft zu kontrollieren. Die Fürstenfamilien, die sich in Mykene oder in der Umgebung von Pylos etablierten, nutzten ihre Vorrangstellung, um die wirtschaftliche Lage ihrer Kleinstaaten durch den Ausbau weit gestreckter Handelsbeziehungen zu stabilisieren. Die frühmykenischen Griechen knüpften kommerzielle Kontakte zum Balkan, zu Unteritalien und selbst zu fernen Regionen wie den Britischen Inseln, um begehrte Rohstoffe wie Kupfer, Gold oder auch Bernstein zu importieren.Äußeres Zeichen der frühen mykenischen Kulturblüte des 16. und 15. Jahrhunderts v. Chr. sind aufwendige Grabbauten in den beiden führenden Landschaften Argolis und Messenien. In Mykene entstanden im 17. und 16. Jahrhundert v. Chr. zwei durch Mauerringe eingefasste runde Grabbezirke. Der jüngere wurde bereits 1876 von Heinrich Schliemann entdeckt. Im 13. Jahrhundert v. Chr. wurde er wohl als Denkmal zur Erinnerung an die Gründerdynastie von Mykene in die Burganlage integriert und prachtvoll ausgebaut. Ein etwas älteres Gräberrund hat die griechische archäologische Gesellschaft seit 1951 außerhalb der Burgmauer von Mykene ausgegraben. Die beiden Gräberrunde umschließen neben den traditionellen, bescheideneren Steinkisten große, in den Fels eingetiefte Schachtgräber, in denen die Angehörigen der mykenischen Fürstenfamilie mit verschwenderischem Reichtum beigesetzt wurden. Lanzen, Schwerter und Dolche, zum Teil mit Einlagen aus Gold und Silber, begleiteten die männlichen Toten; Goldmasken bedeckten ihre Gesichter, während ornamentierte runde oder rhombische Goldplättchen die Totengewänder schmückten. Trinkgeschirr aus Gold und Silber und Vorratsgefäße aus Kupfer oder Bronze vervollständigten die Ausstattung. Frauen waren mit Goldschmuck geradezu überhäuft; statt Goldmasken trugen sie aufwendige Diademe aus Goldblech. Schliemann fand allein im Gräberrund A fast 15 kg Gold. Über den Gräbern erhoben sich Grabstelen aus Kalkstein: unverzierte Stelen für die Frauen, verzierte für die Männer.Die frühe mykenische Bildkunst ist ein Gemisch einheimischer festländischer und minoischer Elemente. Typisch mykenisch sind die Grabstelen über den Schachtgräbern von Mykene. Die Oberfläche der Stelen ist in schmale, rechteckige, senkrechte oder häufiger waagerechte Register gegliedert. Präzis gezeichnete Spiralnetze, spiralgefüllte Medaillons oder Schlingenmuster füllen die Nebenregister, während mehrere Szenen kriegerischen Inhaltes das Hauptfeld schmücken. Die Herren Mykenes erscheinen hier als kriegerische Helden hoch auf dem Streitwagen, mit Lanze und Schwert gewappnet. Sie dringen auf ihre Gegner, die als nackte Barbaren gekennzeichnet sind, ein oder springen auch mit ihren Rössern über getötete Feinde hinweg. In einem Fall wird das Kampfgeschehen noch einmal gleichnishaft im Bild eines Löwen, der einen nicht näher identifizierbaren Vierbeiner verfolgt, aufgenommen. Der Streitwagen ist jene Waffe, die seit 1600 v. Chr. das Kriegswesen im Vorderen Orient und in Ägypten revolutioniert. Die mykenischen Fürsten lernten dieses neuartige Waffensystem damals wohl auf dem Umweg über das minoische Kreta kennen. Die Grabstelen schildern also keine Jenseitsbilder, sondern feiern den Fürsten als Sieger im Krieg. Inhaltlich offenbart sich hier zum ersten Mal in der Ägäis ein neuer Kunstwille, der dem Herrscher und seinen Idealen verpflichtet ist. Diese Kunst steht im Gegensatz zur Bilderwelt des gleichzeitigen minoischen Kreta, die ideologisch stark der Religion verpflichtet ist, kaum Szenen herrscherlicher Repräsentation kennt und auch die Themen von Krieg und Jagd vernachlässigt.Mykenischer Herkunft sind auch die Goldmasken, die die Gesichter der Toten bedeckten und die Gesichtszüge der Verstorbenen im unvergänglichen Edelmetall auch im Jenseits bewahren sollten. Ob das Vorbild dieser Goldmasken letztendlich in den Mumienmasken Ägyptens zu suchen ist, lässt sich heute noch nicht genau beurteilen, ist jedoch angesichts der recht engen Verbindung des ägäischen Kulturkreises mit dem Pharaonenreich durchaus möglich. Bei den Goldmasken handelt es sich um handwerklich eher bescheidene Arbeiten, die in einer groben Rund- oder Ovalform die Gesichtszüge in einer sehr naiven und sehr summarischen Weise abbilden. Das Relief beschränkt sich auf den schmalen, geschlossenen Mund, eine lange, gerade Nase und die kugelförmigen oder auch flach liegenden, geschlossen dargestellten Augen sowie die eingekerbten Augenbrauen, die gewöhnlich über der Nasenwurzel zusammenwachsen. Die Ohren werden durch flüchtig gezeichnete Oval- oder Volutenformen veranschaulicht. Nur eine Goldmaske, in der Heinrich Schliemann das Bildnis Agamemnons sehen wollte, hebt sich durch sorgfältigere Modellierung, vor allem die reiche Ausgestaltung von Schnurrbart und Kinnbart und ein bereits griechisch zu nennendes Profil, bei dem Stirnlinie und Nasenlinie ohne Bruch ineinander übergehen, von der Masse der Fundstücke ab. Die Goldmasken sind im kunstgeschichtlichen Sinne sicherlich keine Porträts, denn es fehlt ihnen an allen Merkmalen individueller Charakterisierung. Die typisierten und idealisierten Bilder erfüllen jedoch ihre Funktion: Sie halten die Züge eines Verstorbenen im Jenseits fest. Weibliche Tote trugen in den Schachtgräbern von Mykene oval geschnittene Diademe oder auch einen prachtvoll geschnittenen, kronenartigen Kopfputz. Getriebene Medaillons mit Buckel- oder Rosettendekor schmücken diesen Totenzierrat.Im Gegensatz zu diesen, speziell als Grabbeigaben geschaffenen Objekten stehen Waffen und Gefäße aus Gold, Silber und Kupfer, die von den Verstorbenen bereits im alltäglichen Leben benutzt wurden. Mehrere Dutzend solcher Waffen konnten einzelne Tote begleiten. Dem aristokratisch-kriegerischen Ethos der mykenischen Führungsschicht entspricht eine geradezu überreiche Ausstattung der männlichen Toten mit Schwertern, Lanzenspitzen und Dolchen. Wie goldbeschlagene Griffe und anderer Zierrat zeigen, handelt es sich bei manchen der Schwerter nicht um echte Kampfwaffen, sondern eher um Paradewaffen oder Prestigeobjekte, die der Repräsentation dienten. Dies gilt in noch stärkerem Maße für Dolchklingen, die mit reichen ornamentalen oder figürlichen Einlagen aus Gold, Silber und Niello, einem Gemisch aus Kupfer, Blei und Schwefel, dekoriert sind. Diese Art der »Metallmalerei« wurde im Nahen Osten, wahrscheinlich in Syrien entwickelt, von minoischen Künstlern aufgegriffen und in die Ägäis gebracht. Die Dolchklingen aus Mykene spiegeln dementsprechend auch sehr deutlich den minoischen Kunststil des 16. Jahrhunderts v. Chr. So sprengen auf der schmalen Einlage einer Bronzeklinge aus dem V. Schachtgrab von Mykene drei Löwen in typisch minoischem, gestrecktem Galopp dahin. Von oben und unten wachsen, die minoische Zentralperspektive aufgreifend, gebänderte Geländeangaben in den Bildfries hinein. Thema eines anderen Dolches aus dem gleichen Schachtgrab ist die Jagd auf Löwen. Zwei Löwen, geschickt an das zur Spitze des Dolches hin schmaler werdende Bildfeld angepasst, wenden sich im fliegenden Galopp zur Flucht, während ein dritter Löwe die Jäger angreift. Auch das Meeresmotiv taucht auf einer mykenischen Dolchklinge wieder auf.Einen ganz anderen Charakter hat das Bild an der Dolchklinge aus dem IV. Schachtgrab von Mykene. In schwarzem Niello ist ein gekrümmter Flusslauf ausgelegt, den kleine silberne Fische beleben. Am Ufer wachsen Papyrusstauden auf, zwischen denen Wildkatzen auffliegende Enten und andere Wasservögel jagen. Dies ist offensichtlich keine griechische, sondern eine ägyptische (Nil-)Landschaft. Die Übernahme eines solchen Bildschemas unterstreicht noch einmal die Weite und Intensität der Kulturbeziehungen im östlichen Mittelmeergebiet in dieser Zeit.Nicht nur der Stil solcher Bilder, sondern auch der Typus der Waffen, die als Bildträger dienen, ist im minoischen Kreta beheimatet. Kreta ist im 16. Jahrhundert v. Chr. künstlerisch und auch technisch der kulturell überlegene Partner und damit Vorbild gebend für die Kunst des mykenischen Griechenland.Minoisch geprägt oder vielleicht sogar von minoischen Handwerkern geschaffen sind auch die frühesten Denkmäler der Siegelkunst auf dem griechischen Festland, wie z. B. die beiden goldenen Siegelringe aus den Schachtgräbern von Mykene, die in der Wahl der Bildinhalte nun schon bekannte mykenische Vorlieben veranschaulichen. Hier erlegen Jäger auf einem Streitwagen mit Pfeil und Bogen einen Hirsch. In durchaus minoischer Weise ordnen sich die Figuren um die Bildmitte, eher sogar einer Rundkomposition verpflichtet, da ja gerade an der Hirschfigur, die gegen den Bildrand zu prallen scheint, offenbar wird, dass die Einfügung in das Oval nicht mit letzter Präzision gelingt. Es ist die Bildmitte, auf die sich Höhepunkt und Intensität der Handlung konzentrieren. Sichtbar wird dies im spannungsgeladenen Gegenüber zwischen dem fliehenden Hirsch, der den Kopf zurückwendet, und dem weit nach vorn gebeugten Jäger mit Pfeil und Bogen in den vorgestreckten Armen.Die kostbaren, getriebenen Gold- und Silbergefäße der Schachtgräber von Mykene entstammen teils lokaler griechisch-festländischer Tradition, teils minoischem Kunsthandwerk. Im Mykenischen etwa wurzeln die zweihenkligen Kantharoi (doppelhenklige Becher), im Minoischen die einhenkligen konischen Trinkbecher, die in den Schachtgräbern von Mykene sehr zahlreich vertreten sind, sowie spiralverzierte Kannen und tiergestaltige Kultgefäße wie zum Beispiel ein goldener Löwenrhyton oder auch ein Stierrhyton aus Silber. Ähnlich gestaltete Steingefäße aus dem minoischen Kreta lassen an der Herkunft dieser Stücke keinen Zweifel.Minoische Metallhandwerker haben vermutlich auch eines der Meisterwerke ägäischer bronzezeitlicher Kunst überhaupt geschaffen, ein goldenes Becherpaar aus dem Tholosgrab von Vaphio unweit von Sparta. In kräftigen, getriebenen Reliefs wird hier der Fang wilder Stiere geschildert. Kühne Körperdrehungen und expressive Bewegung charakterisieren die Szene. Zugleich liegen der Komposition in typisch minoischer Weise ornamentale Schemata zugrunde. Der im Netz sich verfangende Stier des ersten Bechers vollführt eine Wirbelbewegung, aus der sich die nach links und rechts dahinspringenden beiden anderen Stiere im Schema ornamentaler S-Haken entwickeln. Den zweiten Becher erfüllt ein ruhigerer, auf- und abschwellender Bewegungsfluss. Hier erfolgt der Fang eines Wildstieres mithilfe einer Lockkuh. Das Kuppelgrab von Vaphio ist in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zu datieren. Die Becher zeigen noch einmal deutlich, wie stark die frühmykenische Kultur bis in die Jahre um 1450 v. Chr. vom Import minoischen Kunsthandwerks und der einheimischen Nachahmung minoischer Vorbilder geprägt wird.Prof. Dr. Hartmut MatthäusDemargne, Pierre: Die Geburt der griechischen Kunst. Die Kunst im ägäischen Raum von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Anfang des 6.vorchristlichen Jahrhunderts. München 1965.Das mykenische Hellas. Heimat der Helden Homers, herausgegeben von Katie Demakopoulou. Berlin 1988.
Universal-Lexikon. 2012.